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App.net im Fegefeuer der Digitalindustrie

Bleiben wir beim Scheitern: App.net, das im August 2012 nach drakonischen Beschränkungen von Twitter als vielversprechende Microblogging-Alternative startete, hat gestern verkündet, dass die zweite Finanzierungsrunde nicht ausgereicht hat, um weiterhin ein festes Team zu beschäftigen.1 Das von den Nutzer gezahlte Geld soll nun nur noch dazu verwendet werden, den Service „indefinitely“ am laufen zu halten. Der Code soll Open Source gestellt werden und die Plattform im Idealfall als Community-Projekt fortentwickelt werden.

Auch wenn in meiner ADN-Timeline bisweilen anderes zu lesen ist, ist dies das De-Facto-Ende von App.net. Ein Ende, das sich m.E. schon abzeichnete, nachdem man sich nie richtig zum Microblogging bekannte und stattdessen eine Plattform für alles mögliche – vom Cloud-Speicher bis zum Push-Notification-Service – sein wollte. Hätten Gründer Dalton Caldwell & Co. von Anfang an kommuniziert, ein besseres, offeneres Twitter zu bauen (was ADN technisch auch geworden ist), wäre das ganze Konzept sicherlich greifbarer gewesen. So hat man mit allerlei Firlefanz Zeit und Geld vergeudet.

Das Developer Incentive Program, das Entwicklern einen finanziellen Anreiz bot, Apps für die Plattform zu entwickeln, wurde im Rahmen der Kostenminimierung natürlich eingestellt. Durch den fehlenden Third-Party-Support ist zu erwarten, dass es kaum Neuanmeldungen bei App.net geben wird und viele bisherige Nutzer ihre Abonnements auslaufen lassen werden. Wenn die Early Adopter in einem Jahr erneut zur Kasse gebeten werden, könnte dies dann das tatsächliche Ende bedeuten. Bis dahin verweilt App.net im Fegefeuer der Digitalindustrie, einem Teufelskreis aus enthusiastischen Altnutzern und ausbleibenden Neuen. Ich hoffe, dass die Community das Ding um ihretwillen laufen lassen kann, erwarte aber nicht mehr allzu viel. Schade.

„You should follow me on App.net Twitter here.“

  1. Raus damit: Ich hab meinen Teil geleistet, wer von euch hat’s verschissen? []

Tent.is auf der Jagd nach dem Microblogging-Protokoll

Isger hat mich gestern bei Twitter gefragt, was ich von Tent.is/.io1, dem neuen Stern am Microblogging-Himmel, halte. Der Idealist in mir findet die Idee dahinter großartig und goldrichtig: Anstatt wie bei Twitter und App.net auf die Infrastruktur eines zentralen Anbieters zu setzen, benutzt Tent.is ein dezentrales, Tent genanntes Protokoll, das es jedem ermöglicht, einen eigenen Tent-Host zu betreiben. Tent.is ist, so die Idee, nur einer von vielen Tent-Anbietern, die Nutzer können sich bei beliebigen (noch nicht vorhandenen…) Anbietern anmelden, über das gesamte Netzwerk hinweg miteinander kommunizieren und ihre Daten von Tent-Host X zu Tent-Host Y portieren, falls Tent-Host X einen auf Twitter macht.

Das klingt alles überaus toll. Die Realität sieht jedoch so aus, dass es schwierig ist, um ein solch offenes Protokoll herum ertragreiche Geschäftsmodelle zu finden. Zwar würde Tent-Fürsprecher Loren Brichter, der Mann hinter 2009’s Best Twitter Client, würde er einen Tent-Client in den AppStore bringen (»Tentie«), sicherlich einen Haufen Geld damit verdienen, das Betreiben eines Tent-Hosts wäre für Drittanbieter aber wenig attraktiv2 und etwa für unsere Eltern zu schwierig, so dass im Endeffekt doch alle bei Tent.is bleiben würden.3

Eine föderierte Lösung, bei der es eigenständige, voneinander unabhängige Dienste mit jeweils eigenen Funktionen gäbe, wäre meines Erachtens sinniger, da realistischer, da gewinnbringender. Die Nutzer der verschiedenen Netzwerke könnten dann über einen kleinsten gemeinsamen Nenner (bspw. 140 oder 256 Zeichen lange Textnachrichten) miteinander kommunizieren und die diversen Unternehmen ungestört ihrem eigenen Businessplan und Featureset hinterher jagen. Das Protokoll für ein solches föderiertes Microblogging-Netzwerk fehlt bisher – und hier, denke ich, könnte Tent ins Spiel kommen. Würde das Tent-Protokoll dafür genutzt werden und zum Dreh- und Angelpunkt eines föderierten Netzwerks werden, wäre der Grundidee Genüge getan und uns allen stünde eine rosige Microblogging-Zukunft bevor. Es bleibt abzuwarten, ob die Tent-Macher das genauso sehen.

(Im Moment sieht es so aus als wollten die Tent-Macher neben Twitter und App.net ein drittes Microblogging-System etablieren. App.nets Dalton Caldwell hat aber bereits durchblicken lassen4, dass man durchaus gewillt sei, auch Tent-Support einzubauen, womit das von mir beschriebene Szenario quasi schon erfüllt wäre. Twitter hingegen wird erst dann einem föderierten Netzwerk beitreten, wenn die Financiers das Interesse verloren haben und der Kauf durch Yahoo unmittelbar bevorsteht.)

  1. Tent.is ist die Webseite des Tent-Hosts, Tent.io die des Protokolls. Verwirrend. []
  2. „Was hier gibt’s Werbung? Mach ich halt mein eigenes Tent auf, ihr Ficker!“ []
  3. Congratulations, you’ve created the next Twitter! Again. []
  4. Ich kann die Quelle gerade nicht mehr finden, aber glaubt mir einfach, hat er gesagt. []

App.net und das liebe Geld

Während Twitter zurzeit bekanntlich im Wochentakt lieb gewonnene Features streicht, vergeht beim kostenpflichtigen Underdog App.net kaum eine Woche, in der keine Neuerungen vorgestellt werden. Die letzten zwei davon sind nicht nur für die anwesenden Sparkassenfinanzoptimierer (ja, ich weiß wer ihr seid) interessant:

  • Im so genannten Developer Incentive Program sollen die Nutzer monatlich über die besten Apps abstimmen, deren Macher dann je nach Feedback und Popularität bezahlt werden. Zunächst aus einem Topf von 20.000 Dollar pro Monat, der mit steigenden Nutzerzahlen natürlich stetig erweitert werden soll.
  • Außerdem wurde der Mitgliedsbeitrag gesenkt: Anstatt $50/Jahr sind jetzt nur noch $36/Jahr zu bezahlen. Alternativ besteht neuerdings auch die Möglichkeit einer monatlich zu bezahlenden Mitgliedschaft. Dabei werden dann $5/Monat fällig (= $60/Jahr). Wer wie ich bereits die 50 Dollar gezahlt hat, dessen Mitgliedschaft wird entsprechend ein paar Monate erweitert.

Zwar denke ich, dass die 36 Dollar für den halbwegs zahlungswilligen Microblogging-Pöbel immer noch zu viel sind (ich sehe das Angebot eher bei 20 bis 25 Dollar), dennoch ist die Preissenkung aber ein Schritt in die richtige Richtung und dürfte das App.net-Biotop sicherlich um einige interessante Figuren erweitern. Was hingegen vom Developer Incentive Program zu erwarten ist, bleibt fraglich. Derartige Projekte sind nice to have, aber wer sich als Entwickler auf sowas allein verlässt ist schnell allein und verlassen. Die Nummer ist zwar spannend, aber man sollte sich nicht zuviel davon erhoffen. Nichtsdestotrotz: Das App.net-Team beweist hiermit einmal mehr, dass es auch im weiteren Verlauf der Geschichte gerne gewillt ist, zu experimentieren. Und zwar jenseits von großen Foto-Headern.