Einmal mehr besser spät als nie1: Als ich irgendwann im August erfuhr, dass der hoch- und viel gelobte SciFi-Streifen Moon im Rahmen des Fantasy Filmfest gezeigt werden würde, war klar, dass ich dahin musste. Diese selbst auferlegte, aber gern erfüllte Pflicht verstärkte sich dann wenige Tage später immens, als klar wurde, dass nicht nur Duncan Jones‘ Debüt, sondern auch das von Neill Blomkamp, namentlich District 9, es ins Programm schaffte – und das nur knapp zwei Wochen nach US-Start. Respekt! Ehrensache, dass ich am ersten Verkaufstag die Kasse des Kölner Cinedoms stürmte, um auf Nummer Sicher zu gehen und Tickets für besagte Filme zu erstehen. Gesagt, getan, standen die Freundin und ich also am dritten Festivaltag vor dem größten Kinosaal des Cinedoms, in den District 9 eigens verlegt wurde und der dennoch ausverkauft war.2
Einige fremdsprachige, blutige und sehenswerte Trailer später durften wir dann miterleben, wie es aussieht, wenn ein kleines Stückchen Genre-Geschichte geschrieben wird. Dabei beginnt alles ganz ruhig: 1982 tritt ein außerirdisches Raumschiff in die Erdatmosphäre ein, stoppt über der südafrikanischen Metropole Johannesburg und verharrt dort. Nach Wochen des ereignislosen Wartens entschließen sich die Menschen in den unbekannten Flugkörper einzudringen, wo sie über eine Million insektoide Außerirdische vorfinden – halb verhungert und ohne irgendeinen Anführer. Die Außerirdischen werden aus dem Flugkörper in ein zunächst provisorisch errichtetes Flüchtlingslager namens District 9 gebracht, welches sich jedoch rasch zu einem Slum entwickelt. Jahrzehnte vergehen und die Bevölkerung Johannesburgs fühlt sich zusehends unwohler mit den abfällig als „prawns“ (Garnelen) bezeichneten Nachbarn aus District 9. Das private Sicherheits- und Militärunternehmen Multinational United (MNU), das mittlerweile über die nun 1,8 Millionen Aliens wacht, sieht sich gezwungen, die Umsiedlung dieser in das weiter entfernte und angeblich sehr viel humanere Lager District 10 zu veranlassen. Als der niedere MNU-Beamte Wikus van de Merwe sich der Aufgabe annimmt, passiert jedoch das Unvorhersehbare: <spoiler>nachdem er im Alien-Lager einer außerirdischen Flüssigkeit ausgesetzt wurde, beginnt er, sich selbst in einen der „prawns“ zu verwandeln und erfährt am eignen Leib, dass es der MNU tatsächlich nicht um das Wohl der Aliens, sondern vielmehr um deren hoch-effizientes, aber für Menschen bisher nicht benutzbares Waffenarsenal geht…</spoiler>
Dabei macht besagter MNU-Mann Wikus nicht nur eine physische, sondern auch eine psychische Wandlung durch: vom unbeholfenen Bürokraten, der nur die eigene kleine Karriere im Blick hat, zum Gejagten und Rächer zwischen den Fronten. Dass diese Verwandlung so greifbar und glaubwürdig ist, ist zum einen der mit Sharlto Copley hervorragenden Besetzung, zum anderen dem Stil des Films selbst zu verdanken. Denn wie aus den Trailern und der Kurzfilmvorlage Alive in Joburg bekannt, beginnt District 9 als Dokumentarfilm und nimmt erst nach Wikus‘ Unfall dessen Position und damit typischere Erzählweisen ein – hierbei dennoch immer wieder durch vermeintliche O-Töne unterbrochen. Eine solche Vorgehensweise und viele weitere, auch und vor allem narrative Elemente des Films sind zwar alles andere als neu3, in dieser Kombination jedoch ungesehen. Beispielsweise kennen wir Xenophobie gegenüber Außerirdischen von Kindesbeinen an (E.T. anyone?), hier wird sie aber erstmals wirklich aussagekräftig: denn so selbstverständlich und glaubwürdig wie Blomkamp sein Szenario auf die Apartheid Südafrikas transferiert, zeigt er doch selbst dem unbedarftesten Zuschauer unausweichlich diesen Schandfleck menschlicher „Zivilisation“ auf. Und schließlich ist es genau dieser Moment, den die Science Fiction zu leisten vermag und der leider allzu gerne zwischen all den Special Effects und Bunnies vergessen4 oder übersehen wird.
Nichtsdestotrotz ist natürlich auch District 9 ein spektakulärer Actionknaller, der – zumindest im letzten Drittel – Explosionen und Splatter en masse bietet und dessen vorderstes Ziel die Unterhaltung des Publikums ist. Dass er dabei nebenbei neue Standards in Sachen SciFi-Action setzt und für das Minibudget von 30 Millionen Dollar nahezu fantastisch aussieht, ist umso beeindruckender.5 Ganz klar: wir haben hier mit Neill Blomkamp und Sharlto Copley zwei fortan äußerst gefragte Männer vor uns, von denen wir noch sehr viel hören und sehen werden.
Kurzum: District 9 ist genau der Science-Fiction-Film (mit Action-Anspruch), den ich mir jedes Mal wünsche, wenn das Licht im Kinosaal ausgeht – und den ich vor District 9 bisher nur ein einziges Mal bekommen habe: 1999 mit The Matrix.
- Ich bin es zwar leid, jedes Review mit einer Entschuldigung zu beginnen, aber was soll ich tun? Zur Zeit bin ich nun mal voll ausgelastet, da bleibt mir nur der Urlaub um was ordentliches zu schreiben. In diesem Sinne: erneut fettes Sorry, für die überaus späte Veröffentlichung dieses Reviews. [↩]
- Manch einer muste sogar mit einem Platz auf der Treppe vorliebnehmen… [↩]
- Man denke nur an Cronenbergs Fliege oder die TV-Serie Alien Nation. [↩]
- Ja, Mr. Bay, Sie sind gemeint. [↩]
- Und wo wir gerade bei Ihnen, Mr. Bay, sind, gerade Blomkamps Minibudget lässt Sie mit Ihren quasi unbegrenzten Mitteln wie einen Dilettanten aussehen. [↩]
Full ACK! 😉
Toller Stil, tolle Story, tolle Darsteller. Die Dreifaltigkeit ist erfüllt⦠(Und jetzt schlag mich, lieber angehender Medienwissenschaftler, weil ich bestimmt ein sehr wichtiges filmisches Element unterschlagen habe :D)
Kann Dir da nur in allen Punkten zustimmen – ein toller Film. Ich hoffe in spätestens drei Jahren kommt der zweite Teil – aber wohl eher nicht. 😉
man fragt sich, ob dann alle sterben müssen.